Es ist ungewöhnlich, dass Du von einem Boxer einen Weihnachtsbrief
erhälst. Es gibt ja auch nur verschwindend wenige davon in Deiner großen
Fan-Gemeinde. Boxer sind absolut in der Minderheit. Und Minderheiten
sind immer schwach und hilfbedürftig. oder?. Deshalb erbitte ich umso
mehr Deine Aufmerksamkeit für unsere Randgruppe der Gesellschaft.
Unser Image stimmt nämlich überhaupt nicht. Wir sind nicht schwach,
das weiß jeder – aber trotzdem hilfsbedürftig.

Unsere persönliche Stärke liegt in jedem selbst, in unserem anerzogenen,
antrainierten Selbstbewußtsein. Wenn es stimmt, dass Deine Gefolgschaft
nur dann beachtet wird, wenn sie zahlreich ist, dann gibt es tatsächlich zu
wenig Boxer – ein Individualsport, eben kein Massensport. Wenn es aber
um Persönlichkeiten geht, dann findest Du unter uns die stärksten Typen.
Da paßt kein Klischee, für uns gibt es keine Schublade.

Wie also stellst Du Dir uns vor? Ach, Du kennst Boxer und Boxkämpfe
auch nur aus dem Fernsehen. Vergiss die Ringschlacht von
Arthur Abraham mit dem Kieferbruch, kommt bei Amateuren niemals vor,
verbietet die Wettkampfordnung und der Respekt. Denk auch nicht weiter
über den Kampf von Axel Schulz nach, solcher Sensationshunger
entspringt nur dem Gewinnstreben von Sportstars, Fernsehanstalten und
Eventmanagern. Denk lieber mal darüber nach, wie es zum Beispiel
unserem Dimitri geht, der sich mit täglichem Training genauso ernsthaft
auf die nächste Meisterschaft vorbereitet, wie im Gymnasium auf sein Abitur.

Siehst Du, den kennst Du nicht, den beachtest Du nicht, dem fehlt die
sogenannte öffentliche Aufmerksamkeit.. Kaum, dass sich unsere
Tageszeitung für seine Erfolge interessieren lässt. Und die anderen
Athleten werden nicht mal mehr genannt. Findest Du das gerecht?

Oder denk mal drüber nach, unter welchen Umständen und Mühen unser
Vorsitzender ein paar Euro zusammen betteln muss, weil wir nur extrem
niedrige Vereinsbeiträge erheben – schließlich sollen die Kinder der
einkommensschwachen Familien auch Sport treiben können, ebenso wie
die arbeitslosen Jugendlichen, die wir kostenlos trainieren lassen.
Dennoch kosten Trainingsraum, Sandsack, Leihhandschuhe, der Ring,
die Fahrten zu den Pokalturnieren, die Ausbildung der sonst
ehrenamtlichen Trainer und manches mehr viel Geld – schnödes Mammon!

Apropos Turniere: die würde keiner mehr veranstalten –
Geld durch Fernsehverträge ist damit keines zu verdienen, Sponsoren
sind auch nicht zu finden – , gäbe es nicht die Unverzagten unter den
Funktionären. Die sind das eigentliche Rückgrat unseres Sports, aber auch
das leidet allzu oft an Bandscheibenschäden. Wirklich, wenn es nicht so
viele Idealisten gäbe, könnten wir einpacken. Schick unbedingt göttliche
Hilfe, schick uns mutige Optimisten.

Mal sehen, welche göttliche Eingebung Du den Delegierten beim nächsten
Bundeskongress des DBV Ende Juni in Bad Lippspringe gibst – da müssen
wichtige Weichen gestellt und nicht nur ein neuer Präsident gewählt
werden. Wenn wir nur einen hätten, dem die Türen offen stehen, der sie
sich nicht mühsam selbst öffnen müsste, eine bekannte Person der
Öffentlichkeit. Einen der beiden Klitschkos können wir ja nicht nehmen,
sind keine Deutschen.

Ja ja, die vielen Ausländer oder deutschen Bürger ausländischer
Herkunft im Sport: auf den Fußballfeldern laufen sie alle durcheinander,
die Sergejs und Huberts, die Ahmets und Michaels. Nur bei uns Boxern
haben fast alle Athleten osteuropäische Namen. Woran das liegt?
Ich dachte, Du liebes Christkind hast den göttlichen Überblick – ich habe
ja nur meinen Glauben. Ich glaube es liegt daran, dass Boxen klassenlos
ist, nicht trendy, dass Boxen preiswert ist, nicht chic, dass Boxen
anstrengend ist, nicht einfach.

Liebes Christkind, wenn ich jetzt daran denke, dass man sich beim
Boxen den Erfolg hart erarbeiten muss, weiß ich auch, warum es um den
Nachwuchs schlecht bestellt ist und warum es so wenig Boxamateure gibt.
Aber glaube mir, Erfolg macht Spaß, der Boxkampf lehrt mich Respekt
und als Trainer sehe ich in so viele leuchtende Augen, das macht glücklich.
Und sehen wir`s doch einfach so – Elite ist immer in der Minderheit.

Das Leben ist eine Folge verpasster Gelegenheiten – wer nicht
Boxer oder Kickboxer geworden ist, hat eben Wesentliches im Leben
verpasst, selbst Schuld. Insofern gratuliere ich allen Sportkameraden
und wünsche jedem den verdienten Erfolg im kommenden Jahr –
und damit ein herzliches "Ring frei"

Brief eines Boxers an das Christkind